Die Palmgren-Miner-Regel, auch bekannt als Miner's Regel, die Lineare Schadensregel (LDR) oder die Kumulative Schadenshypothese (CDH), ist eine der am häufigsten verwendeten Methoden zur Vorhersage der Ermüdungslebensdauer bei variabler Amplitudenbelastung (VA). Die Regel wurde 1945 von M.A. Miner vorgeschlagen und bietet einen einfachen Ansatz zur Bewertung der kumulierten Ermüdungsschäden über mehrere Lastzyklen mit unterschiedlichen Spannungsamplituden. Sie basiert auf der Annahme, dass sich Ermüdungsschäden linear bis zum Versagen ansammeln.
Wie die Miner-Regel funktioniert
Die Miner-Regel berechnet Ermüdungsschäden basierend auf der Anzahl der Zyklen bei jedem Spannungsniveau. Für ein gegebenes Spannungsniveau kann der Schadensanteil als Verhältnis der Anzahl der Zyklen bei diesem Spannungsniveau zur Gesamtzahl der Zyklen bis zum Versagen bei demselben Spannungsniveau (abgeleitet aus S-N-Kurven) berechnet werden.
Die Grundform der Miner-Regel wird ausgedrückt als:
\[D = \sum_{i=1}^{n} \frac{n_i}{N_i}\]
Wobei:
- \(n_i\) = Anzahl der Zyklen bei Spannungsniveau \(S_i\)
- \(N_i\) = Anzahl der Zyklen bis zum Versagen bei Spannungsniveau \(S_i\) (aus der S-N-Kurve)
- \(D\) = Gesamtansammlung von Schäden
Nach der Miner-Regel tritt ein Versagen auf, wenn die Gesamtansammlung von Schäden \(D\) gleich oder größer als 1 ist:
\[D \geq 1 \quad \text{(Ermüdungsversagen)}\]
Wichtige Annahmen der Miner-Regel
Die Miner-Regel basiert auf den folgenden Annahmen:
- 1. Lineare Schadensakkumulation
- Die Regel nimmt an, dass sich Schäden linear anhäufen, d. h. jeder Lastzyklus trägt unabhängig von anderen Zyklen zur Schädigung bei, und es gibt keine Interaktion zwischen Zyklen mit unterschiedlichen Spannungsamplituden.
- 2. Keine Lastfolgen-Effekte
- Die Miner-Regel nimmt an, dass die Reihenfolge der aufgebrachten Lasten keinen Einfluss auf die Ermüdungslebensdauer hat. Beispielsweise wird angenommen, dass das Aufbringen eines Hochlastzyklus vor einem Niedriglastzyklus denselben Schaden verursacht wie das Aufbringen des Niedriglastzyklus zuerst.
- 3. Kein Gedächtnis an frühere Belastungsgeschichten
- Die Regel legt nahe, dass das Material, sobald ein Lastzyklus abgeschlossen ist, die vorherige Belastungsgeschichte "vergisst", was bedeutet, dass der Schaden durch einen bestimmten Lastzyklus unabhängig von früheren Zyklen ist.
Vorteile der Miner-Regel
- Die Miner-Regel ist einfach anzuwenden und zu verstehen. Sie erfordert nur grundlegende Eingaben wie die Anzahl der Zyklen bei verschiedenen Spannungsniveaus und die S-N-Kurve für das Material.
- Sie bietet eine unkomplizierte Möglichkeit, Ermüdungsschäden in Strukturen und Bauteilen, die einer variablen Amplitudenbelastung ausgesetzt sind, ohne komplexe Rechenwerkzeuge zu bewerten.
Nachteile und Einschränkungen der Miner-Regel
- Ermüdungsschäden sind nicht immer linear. Für bestimmte Materialien und Belastungsbedingungen neigen Schäden dazu, sich schneller oder langsamer anzusammeln als von der Miner-Regel vorhergesagt. Daher kann die Miner-Regel Schäden über- oder unterschätzen, je nach Material und Belastungsgeschichte.
- Hochzyklische Ermüdung wird tendenziell besser durch die Miner-Regel modelliert, während Niedrigzyklische Ermüdung oft signifikante plastische Verformungen beinhaltet, die die Regel nicht berücksichtigt.
Alternativen und Modifikationen der Miner-Regel
Aufgrund ihrer Einschränkungen wurden mehrere Modifikationen und Alternativen zur Miner-Regel vorgeschlagen, um die Genauigkeit bei der Bewertung von Ermüdungsschäden unter variablen Belastungen zu verbessern:
Praktische Anwendung der Miner-Regel
Trotz ihrer Einschränkungen wird die Miner-Regel immer noch als praktisches Werkzeug in vielen Ingenieursdisziplinen eingesetzt, insbesondere wenn eine Näherung der Ermüdungslebensdauer ausreicht und die Belastungsbedingungen nicht allzu komplex sind. Für sicherheitskritische Anwendungen, bei denen mehr Präzision erforderlich ist, kann die Regel durch fortschrittlichere Methoden oder Labortests ergänzt werden.
Fazit
Die Miner-Regel bietet eine einfache und praktische Methode zur Schätzung von Ermüdungsschäden bei variabler Amplitudenbelastung und ist daher in vielen technischen Anwendungen von Wert. Allerdings weist sie erhebliche Einschränkungen auf, insbesondere in ihrer Unfähigkeit, Lastfolgen-Effekte und nichtlineare Schadensakkumulation zu berücksichtigen. In Fällen, in denen eine genauere Vorhersage der Ermüdungslebensdauer erforderlich ist, sind nichtlineare Modelle und lastfolgenabhängige Methoden oft geeignetere Alternativen.